Meinung

Deutschland malt sich freudig eine Zielscheibe auf den Rücken

Ging Olaf Scholz mit seiner Zustimmung zur Stationierung amerikanischer Raketen in seiner Unterwürfigkeit gegenüber Washington zu weit? Jedenfalls regt sich Widerspruch an unerwarteter Stelle – auch weil die Regierung die Entscheidung ohne Debatte durchsetzen will.
Deutschland malt sich freudig eine Zielscheibe auf den RückenQuelle: www.globallookpress.com © Michael Kappeler

Von Tarik Cyril Amar

Für eine Regierung ist es eine Sache, alleine schlechte Ideen zu haben, aber es ist viel schlimmer, die schlechten Ideen einer anderen Regierung umzusetzen – und zu Hause keine Debatte darüber zu tolerieren.

Und doch ist das genau das, was derzeit in Deutschland geschieht. Oder zumindest ist es das, was die unbeliebte Koalitionsregierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz und ihre Handlanger in den Mainstream-Medien im Hinblick auf die geplante Stationierung von Mittelstreckenraketen zu erreichen versuchen.

Passend dazu – angesichts dessen, dass nach dem Angriff auf Nord Stream das sich gehorsam deindustrialisierende Berlin zu einem peinlich unterwürfigen amerikanischen Vasallen geworden ist, erfuhren die Deutschen, als Nebenvorstellung der jüngsten NATO-Vorführung, aus Washington, dass sie bald eine ganze neue Klasse amerikanischer Waffen beherbergen dürfen. Ab 2026 sind diese sogenannten "weitreichenden Feuerfähigkeiten" angesetzt, die anfänglich aus Tomahawk- und SM-6-Raketen bestehen und später neue Hyperschallsysteme einschließen sollen.

Die Platzierung soll zuerst vorübergehen sein und dann dauerhaft werden. Sobald diese Waffen mit einer Reichweite von bis zu 2.500 Kilometern in Deutschland installiert sind, könnten sie das Herz Russlands bedrohen, Moskau inklusive, mit Angriffen, die nur etwa zehn Minuten vom Start bis zum Einschlag benötigen. Viele davon können nukleare wie auch konventionelle Sprengköpfe tragen. Da dadurch für Russland ein hohes Risiko entsteht, das die Planer dort als neue westliche Fähigkeit für Überraschungsangriffe sehen müssen, werden diese Stellungen Primärziele für die russischen Truppen.

Anders gesagt, die Entscheidung, derartige Waffen auf deutschem Boden zu stationieren, ist von höchster Wichtigkeit. Der russische Präsident Wladimir Putin nutzte die Gelegenheit des Tags der Marine – der zufällig auf eine berühmte Schlacht des Großen Nordischen Krieges zurückgeht, als Peter der Große den Rest Europas zwang, Russland als Großmacht anzuerkennen –, um die Dinge so klar wie möglich auszusprechen: Sollten die amerikanischen Pläne umgesetzt werden, werde mit einer symmetrischen Reaktion erwidert werden. Moskau wird, mit anderen Worten, Deutschland, den willigen vorgelagerten Stützpunkt der Amerikaner, im Blick behalten.

Darüber hinaus sprach der russische Präsident – was häufig übersehen wird – von westlichen Waffen, also sowohl von spezifisch amerikanischen als auch von solchen, die Washingtons Satelliten gehören. Damit bezog er sich auf europäische Pläne, eigene Raketen für sogenannte "tiefe Präzisionsschläge" zu bauen.

Wie Sahra Wagenknecht, die Vorsitzende von Deutschlands neuer, aber bereits gedeihender Partei BSW richtigerweise erläuterte, wird die Stationierung von Mittelstreckenraketen die Sicherheit des Landes nicht erhöhen, sondern sie "erhöht im Gegenteil die Gefahr, dass Deutschland selbst zum Kriegsschauplatz wird, mit furchtbaren Folgen für alle hier lebenden Menschen".

Und doch, nachdem die USA diese neue Eskalation im Stillen seit 2021 geplant haben, wurde die endgültige Entscheidung, sie umzusetzen, in faktisch geheimen Gesprächen zwischen amerikanischen und deutschen Regierungsvertretern getroffen (wenn "Gespräche" bedeutet, dass Berlin neue Befehle entgegennimmt) – und niemandem sonst.

Vergessen Sie den Gedanken, dass die deutschen Bürger informiert werden und ein Mitspracherecht haben sollten, ehe sie vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Tatsächlich hat der deutsche Verteidigungsminister und NATO-Ultra Boris Pistorius auf dem Recht bestanden, eine "Exekutiventscheidung" zu treffen. Er ist sich dessen sicher nicht bewusst, wie ironisch das klingt: Im urbanen Slang Amerikas steht der Begriff für Willkür. Und die Wirklichkeit ist natürlich, dass Washington die Entscheidungen fällt und Berlin sich um die Umsetzung kümmert.

Wagenknecht hat außerdem Verhandlungen über ein Ende des Krieges in der Ukraine gefordert, und, ganz allgemein, eine Regierung, "die die existenziellen Interessen unseres Landes vertritt, statt willfährig die Wünsche der Vereinigten Staaten umzusetzen, die von den Folgen eines großen europäischen Krieges nicht direkt betroffen wären".

Mit beiden Punkten hat sie recht. Aber solange Scholz' Koalition an der Macht bleibt, sind die Aussichten für so viel Vernunft und nationale Selbstbehauptung schlecht.

In gewisser Weise ist es keine Überraschung, wie den Deutschen neue Raketen und Gefahren aufgedrängt werden. Diese Art von Verhalten ist im gesamten Westen inzwischen Routine, weil es wirklich funktioniert. Ob es um den Krieg in der Ukraine geht, den israelischen Genozid in Gaza oder die Frage, wie man auf den friedlichen Aufstieg Chinas reagieren soll – wenn es ein starkes Signal dafür gibt, dass ein Thema wirklich wichtig ist, dann, dass nicht erlaubt wird, eine abweichende Meinung dazu zu haben oder zumindest, sie zu veröffentlichen.

Und doch gibt es etwas Besonderes bei diesem neuen Plan für Mittelstreckenraketen. Er rückt die Berliner Gewohnheit, Debatten vorwegzugreifen und sie zu verhindern, während der Verantwortung ausgewichen wird, besonders ins Licht. Wie es Helmut W. Ganser, ein deutscher General a.D., der hohe Positionen im Verteidigungsministerium wie in der NATO innegehabt hatte, betonte, ist das eine Politik mit "schwerwiegenden" Folgen, die einer "umfassenden Rechtfertigung" bedarf.

Aber nichts dieser Art wurde geliefert. Ein Dokument, das das Verteidigungs- und das Außenministerium für den Bundestag produzierten, ist eine Formalität, angefüllt mit plappernden Klischees über das große, böse Russland, und die gute, unschuldige NATO, die nichts als etwas mehr "Abschreckung" wolle.

Gleichzeitig bringt das Thema der Mittelstreckenraketen ebenfalls ans Licht, dass trotz allem die Fähigkeit Berlins, Kritik zu unterdrücken, an Grenzen stoßen könnte. Als einzelnes, verständliches und klar alarmierendes Thema könnte die Stationierung von Mittelstreckenraketen das Potenzial haben, einen Widerstand hervorzurufen, der über ein paar unzufriedene Stimmen in den sozialen Netzwerken hinausgeht. Es gibt bereits Anzeichen, dass Scholz einen taktischen Fehler begangen hat, als er diese gefährliche Politik mit demonstrativer Überheblichkeit einleitete.

In Scholz' eigener Partei, der SPD, gab es öffentlichen Widerspruch. In einem viel beachteten Interview sagte Fraktionschef Rolf Mützenich, Deutschland brauche diese neuen Waffensysteme nicht; zudem erhöhten sie nur die Gefahr einer "unbeabsichtigten militärischen Eskalation". Mützenich fragte außerdem, warum nur Deutschland eine Basis für diese Raketen werden soll, und merkte spitz an, das stimme nicht mit seiner Vorstellung einer Lastenverteilung in der NATO überein.

Andere Mitglieder der SPD-Führung haben sich dem Rebellen angeschlossen. In einer Erklärung haben die Mitglieder des Erhard-Eppler-Kreises – benannt nach einer Schlüsselfigur der starken pazifistischen Welle, die in den 1980ern durch eine vergleichbare US-Raketenstationierung ausgelöst worden war – gewarnt, die Gefahr, die mit den neuen Waffen verbunden sei, nicht zu unterschätzen. Sie haben auch die Voreingenommenheit und das Schweigen der Führung unter Scholz kritisiert. Die SPD-Rebellen erheben auch – was einem Kanzler, dem nur seine Beliebtheit in den USA wichtig zu sein scheint – den Anspruch, Mützenichs – und ihre – Position stehe für das, was viele einfache Parteimitglieder denken.

Die Gegner und Kritiker dieser neuen Politik haben klar sowohl mit dem Inhalt dieser neuen Politik als auch mit der Weise, wie sie von oben verordnet wurde, im Stil der "Exekutiventscheidung", wie Pistorius' unbeholfener und verräterisch autoritärer Begriff lautete, ein Problem. Dabei, das ist wichtig festzustellen, lehnen sie üblicherweise nicht einmal die Behauptung ab, dass Deutschland mehr in sein Militär investieren müsse. In dieser Hinsicht gestehen sie, zum Besseren oder zum Schlechteren, überwiegend, dass sie ebenfalls glauben, die "russische Aggression" zwinge den Westen dazu, sich wieder mehr der Abschreckung zu widmen. Aber das macht es Berlin eher schwerer, mit ihnen umzugehen, weil man ihnen schlecht den Mund verbieten oder sie als naive Pazifisten oder Russophile karikieren kann. Auch ihr Argument, dass dem Setzen auf mehr Raketen kein gleichzeitiges Angebot für Gespräche und die Suche nach Kompromissen gegenübersteht, ist ein weiterer Faktor, der es schwer macht, die Kritiker beiseitezuschieben.

Offizielle und Mainstream-Medien in Deutschland wurden völlig konformistisch und unterwürfig, bewegen sich im Gleichschritt mit Washington und sind durchdrungen von vereinfachenden, selbstgefälligen Narrativen, die den Westen idealisieren und seine Gegner dämonisieren, insbesondere Russland. Diplomatie wird zum "Appeasement" verzerrt, und ein einseitiges Setzen auf militärische Lösungen als "Realismus" präsentiert. Und doch ist es möglich, dass die Regierung Scholz diesmal überreizt hat. Es scheint zumindest ein Potenzial zu geben, die Frage der Mittelstreckenraketen in einen Katalysator zu verwandeln, der im besten Falle dabei hilft, ein breiteres politisches und soziales Bündnis jener zu schmieden, die eine Rückkehr zur Diplomatie wollen, um den Krieg in der Ukraine zu beenden, die unzufrieden mit der erniedrigenden und schädlichen Unterordnung unter US-Interessen sind, und schließlich jenen, die im Allgemeinen die momentane Orthodoxie eines neuen Kalten Krieges herausfordern wollen.

Übersetzt aus dem Englischen.

Tarik Cyril Amar ist Historiker an der Koç-Universität in Istanbul. Er befasst sich mit Russland, der Ukraine und Osteuropa, der Geschichte des Zweiten Weltkriegs, dem kulturellen Kalten Krieg und der Erinnerungspolitik. Man findet ihn auf X unter @tarikcyrilamar.

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